Claude Debussy war 31 Jahre alt, als er 1893 die Komposition seines einzigen Streichquartetts in Angriff nahm. Die viersätzige Anlage und der Aufbau der Außensätze, die dem Schema der Sonatensatzform folgen, verweisen auf klassische Vorbilder. Doch darüber hinaus überrascht das Werk durch eine Farbgebung, die in der Quartettliteratur bis dahin unbekannt war. So kommt diese Musik trotz der traditionellen Elemente in einem völlig neuen klanglichen Gewand daher. Bereits Paul Dukas wies darauf hin, dass »alle Sätze des Werkes auf einem einzigen Thema aufbauen«. Debussy macht sich hier die von César Franck zum Prinzip erhobene zyklische Form zu eigen. Das zu Beginn des Kopfsatzes eingeführte Thema wird vielfältigen Wandlungen unterworfen, die seinen Charakter oft tiefgreifend verändern. Diese ständige Neuausrichtung des Kernthemas hinterlässt über weite Strecken den Eindruck einer fluktuierenden melodischen Variation. Erstaunlich ist die stilistische Bandbreite der Materialien, die hier anklingen: gregorianische Kirchentöne, javanesische Gamelanmusik, die Debussy während der Weltausstellung 1889 in Paris kennengelernt hatte, oder auch Elemente südosteuropäischer Folklore. Dazu kommt eine ungewohnte Rhythmik, die das Publikum der ersten Aufführung ebenso irritierte wie die neue Klanglichkeit. Das Streichquartett ist das einzige Werk Debussys mit einer Opuszahl. Warum er sein Werkverzeichnis gleich mit der Nummer zehn begann, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben.
Autor: Martin Demmler
Der Komponist Claude Debussy wurde am 22. August 1862 im französischen Saint-Germain-en-Laye geboren. Er erhielt zunächst Klavierunterricht bei einer Schülerin Chopins. Ab 1873 studierte er Klavier und Komposition am Pariser Konservatorium und gewann…
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