Chopin fantasierte nicht nur am Klavier über polnische Themen: Polen selbst blieb sein Lebensthema, das er sich nicht ausgesucht hatte und dem er doch niemals entrinnen konnte. Dabei war Chopin nur ein halber Pole, aber ein doppelter Staatsbürger. Denn einerseits wurde er 1810 im kurzlebigen, von Napoleon etablierten »Herzogtum Warschau« geboren, und seine Mutter Tekla Justyna Krzyżanowska war eine verarmte polnische Adlige im Sold einer Kammerzofe. Andererseits kam der Vater Nicolas Chopin, zunächst Buchhalter, dann Hauslehrer, schließlich Professor am Warschauer Lyzeum, aus Lothringen, weshalb auch sein Sohn Frédéric nach den Gesetzen des napoleonischen »Code civil« als Franzose galt und später in Frankreich zu den Einheimischen zählte (sich aber gleichwohl als polnischer Emigrant fühlte und verstand). Der polnische Geburtsort, das Landgut Żelazowa Wola unweit von Warschau, die Herkunft aus einer zumindest mütterlicherseits polnischen Familie wirkten auf den verletzten Stolz seiner Landsleute wie ein Trost und wie ein Trotz gegen die Übermacht des Zarenreiches. Chopin erhielt Kompositionsunterricht von Józef Elsner, dem Rektor der Warschauer Hauptschule für Musik, noch bevor er dort sein offizielles Studium begann. Józef Elsner war für Chopin mehr als nur ein kluger und weitsichtiger Pädagoge. Als Musikdirektor am Nationaltheater, Verleger und Herausgeber, Gründer einer Gesellschaft für nationale und religiöse Musik, als Komponist polnischer Messen, polnischer Opern, polnischer Lieder, mit seinen Rondos »à la Mazurka« und »à la Krakowiak« wies Elsner dem gut vierzig Jahre jüngeren Chopin und seiner Generation den Weg in die Unabhängigkeit: die politische wie die künstlerische.
Frédéric Chopin sollte im Laufe seines Lebens gerade einmal dreißig öffentliche Konzerte geben, einschließlich der Akademien und Galas, bei denen er im Gefolge anderer Musiker mitwirkte. Sein Milieu und Lebenselixier blieb der Salon, das intime Musizieren vor Freunden und Mäzenen. »Das Publikum schüchtert mich ein«, verriet er dem alles andere als öffentlichkeitsscheuen Kollegen Franz Liszt, »sein Atem erstickt, seine neugierigen Blicke lähmen mich, ich verstumme vor den fremden Gesichtern.«